Gemeinsame
Vereine:
Evangelischer Bund 1886, Pfarrverein 1892.
Und wieder noch ein Streit: Apostolikumsstreit 1891/1892
Der Schul- und Kulturkampf der 1870er Jahre machte den Evangelischen im Großherzogtum Baden erneut deutlich, dass sie schon seit der Vereinigung der lutherischen Markgrafschaft Baden-Durlach mit der katholischen Markgrafschaft Baden-Baden 1771 und weiter mit der Integration geistlicher katholischer Herrschaftsgebiete in Südbaden nach Baden durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und die damit verbundene Säkularisierung vielerorts und insgesamt gegenüber der katho-lischen Bevölkerungsmehrheit im Großherzogtum eine Minderheit bildeten. Das führte dazu, dass sich auch badische Pfarrer und Laien aus beiden kirchenpolitischen Gruppen 1886 mit einem badischen Landesverein dem im selben Jahr in Erfurt gegründeten „Evangelischer Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen“, oft als „Mittelpartei“ bezeichnet und von der sog. Vermittlungs-theologie geprägt, anschlossen. Sein Zweck war und ist bis heute die Unterstützung evangelischer Minderheitengemeinden ‒ innerhalb der Landeskirche und international.
Während des Jahres 1892, das erneut von Streit geprägt war, wurde Ende Juni von zahlreichen Geistlichen aus beiden Lagern der Badische Pfarrverein gegründet, ein kirchenpolitisch neutraler Berufs-verband von nahezu allen Pfarrern als Mitgliedern (ohne Mitgliedsverpflichtung), eine Standesvertretung zur Unterstützung in beruflichen und persönlichen Angelegenheiten wie Krankheits- und Todesfall (Pfarrwitwenkasse). ‒ Von Anfang an gab der Verein als monatliches Mitteilungsblatt die Badischen Pfarrvereins-Blätter heraus, bis heute erscheinend, nur zeitgeschichtlich bedingt unterbrochen von 1941 bis 1950. Zudem verstand sich der Pfarrverein im Blick auf seine Mitgliederorientierung als eine Art Ergänzung zum liberalen Wissenschaftlichen Predigerverein (siehe Teil X); zahlreiche Vortragsveranstal-tungen wurden gemeinsam durchgeführt. – Der bis heute bestehende Pfarrverein gibt jährlich ein Mit-gliederverzeichnis heraus, mit Adressen u.dgl., als „Pfarrkalender“.
Der sog. Apostolikumsstreit, der Streit um den Gebrauch des ungekürzten altkirchlichen Apostolischen Glaubensbekenntnisses, war im 19. Jahrhundert nach der Union der fünfte und letzte badische Streit zwischen Liberalen und orthodoxen Konservativen, nach dem Katechismusstreit, dem Agendenstreit, dem Schenkelstreit und dem Schulstreit. Er wurde von außen nach Baden hineingetragen, er betraf konkrete Forderungen, er wurde öffentlich von einzelnen Karlsruher Personen ausgetragen, und er ließ die Kirchenleitung weitgehend unbeteiligt zurück.
1891 griff der Karlsruher Weststadtpfarrer Georg Längin die Reformgedanken des sächsischen Oberstleutnants Moritz von Egidy in einer eigenen Schrift unterstützend auf, nämlich die Forderung, auf „erzwungene“ orthodox-dogmatische Bekenntnisaussagen zu verzichten: wie Erbsünde, Teufel, Dämonen, Wunder, Trinität, Jungfrauengeburt, Höllenfahrt, Auferstehung, ‒ um die Kirche an das veränderte religiöse Bewusstsein der Zeit anzupassen. Innerhalb eines Sturms der Entrüstung, auch in der säkularen Presse, forderte der Karlsruher Städtebauer und Professor an der Technischen Hochschule Reinhard Baumeister (nach ihm die Baumeisterstraße) im Organ der Positiven, dem Korrespondenzblatt für die Evangelischen Konferenz in Baden, die Kirchenleitung in einem Beitrag zum „Fall Längin“ auf, gegen die zu freie Verkündigung der Geistlichen einzuschreiten. Darauf folgten jedoch Solidaritätsbezeugungen vieler liberaler Pfarrer sowie neue Gegenschriften, außer von Längin ebenso von dem Karlsruher Südstadtpfarrer Wilhelm Brückner. Dieser forderte konkret, bei Taufe und Konfirmation ein verkürztes Glaubensbekenntnis zu gebrauchen. Der Oberkirchenrat beschränkte sich in all den Jahren 1892 bis 1894 darauf, mit Hinweis auf die Freiheit der Meinungsäußerung zu Frieden und Eintracht zu ermahnen (kirchliches Gesetzes- und Verordnungsblatt 1894, S. 102).