Die Badische Verfassung vom 22. August 1818

Die Badische Verfassung von 1818 war die erste konstitutionell-parlamentarische Verfassung Deutschlands. Mitglied der Ersten Kammer der Ständeversammlung war nach der Verfassung, wie der Erzbischof des Erzbistums Freiburg, so auch der Prälat der badischen Landeskirche.

Die Vorgeschichte 1806 – 1818

 

Die Markgrafschaft Baden, seit 1771 vereint aus der lutherischen Markgrafschaft Baden-Durlach und der katholischen Markgrafschaft Baden-Baden, wurde zu Beginn des neuen Jahrhunderts „von Napoleons Gnaden“ mit bedeutenden Gebietszuwächsen versehen und 1803 mit der reformierten Kurpfalz vereint und zum Kurfürstentum erhoben und dann 1806 zum Großherzogtum. Damit wurde Baden zu einem Mittelstaat als Mitglied des neu geschaffenen Rheinbunds. Baden wurde also kein Königreich, wie etwa Württemberg, doch wurden dem Großherzog Karl Friedrich († 1811) und seinen Nachfolgern der Titel „Königliche Hoheit“ zugestanden. 1807 begann der Staat durch den Staatsrat Friedrich Brauer, mit Organisations- und Konstitutionsedikten der neuen staatlichen Existenz eine Ordnung zu geben. 1808/09 gab es erste Beratungen über die Einführung einer Verfassung für das neue Großherzogtum.

Nach dem Ende der Herrschaft Napoleons und der Gründung des Deutschen Bundes 1815 begannen Bemühungen, in den Ländern des Deutschen Bundes zu gleichen Verfassungen zu kommen, die aber vergeblich verliefen. Darauf bezieht sich Großherzog Karl († 8. Dezember 1818), Enkel Karl Friedrichs, zu Beginn der Badischen Verfassung:

Originale Kanzleihandschrift der Verfassungsurkunde vom 22. August 1818, Eingang

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Wir bereits im Jahre 1816 Unsern Unter- thanen wiederholt bekannt machten, dem Großherzogthume eine Landständische Ver-fassung geben zu wollen, so hegten wir den Wunsch und die Hoffnung, daß sämtliche BundesGlieder über eine unabänderliche wesentliche Grundlage dieser allen deutschen Völkern zugesicherten Einrichtung überein-kommen …

 

 

Die Verfassung von 1818

 

Mit der Abfassung dieser ersten konstitutionell-parlamentarischen Verfassung Deutschlands wurde der Jurist Karl Friedrich Nebenius betraut.  Die Verfassungsurkunde wurde unter dem Datum des 29. August 1818 im Großherzoglich Badischen Staats-
und Regierungs-Blatt
veröffentlicht.

Karl Friedrich Nebenius

 

Durch die Verfassung wurde der „Landtag“ als ein Zwei-Kammer-System geschaffen, mit der Ersten Ständekammer als einer Art Oberhaus und der Zweiten Ständekammer als eine Art Volksvertretung. Die 63 Abgeordneten der Zweiten Kammer wurden alle gewählt, und zwar von Wahlmännern, welche selbst, aufgeteilt nach Stadt-Wahlbezirken und Ämter-Wahlbezirken, von den Wahlberechtigten gewählt wurden. Mitglieder der Ersten Kammer dagegen wurden nur zum geringeren Teil gewählt, nämlich einerseits von adligen Grundbesitzern, andererseits von Universitätsprofessoren, die zwei Vertreter in die Kammer schickten. Von Geburt waren die Prinzen des großherzoglichen Hauses und die hohen Standesherren Mitglieder. Ernannt wurden die obersten Repräsentanten der beiden Kirchen, der katholische Erzbischof des Erzbistums Freiburg und der Prälat der Vereinigten evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens – ein neu geschaffenes Amt, dazu weiter unten – und weitere vom Großherzog ausgewählte Mitglieder. Allgemein gewährte die Verfassung allen Bürgern des Großherzogtums Gewissensfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und Garantie des Eigentums.

Die ersten Sitzungen beider Kammern fanden am 22. April 1819 im großherzoglichen Schloss statt, die nächsten Sitzungen bis zur Fertigstellung eines eigenen Ständehauses Ende 1822 zunächst im Markgräflich-Hochbergischen Palais am Karlsruher Rondellplatz.

Gottlieb Bernhard Fecht

Zu den ersten Abgeordneten der Zweiten Kammer ab 1819 gehörte auch Gottlieb Bernhard Fecht, liberaler evangelischer Pfarrer und Dekan in Kork in Mittelbaden.  Weil er als Beamter nicht im eigenen Amtsbezirk kandidieren durfte, ließ er sich im Amtsbezirk Karlsruhe-Land wählen. Wegen seiner Zugehörigkeit zur liberalen Landtagsopposition, wurde er 1823 im Zuge der Restauration als Dekan abgesetzt, 1830 zu Beginn des liberalen Vormärz jedoch wieder in sein Amt eingesetzt.

                                      Das Ständehaus, 1820 – 1822 und 1993

 

Prälat Johann Peter Hebel

Schon früh stand fest, dass es für die Ständeversammlungen ein eigenes Gebäude geben sollte. Es würde der erste spezielle Parlamentsbau in Deutschland werden. Am 16. Oktober 1820 erfolgte die Grundsteinlegung durch Großherzog Karls Onkel und Nachfolger Großherzog Ludwig (1763‒1830), obwohl erkennbar war, dass dieser ein entschiedener Gegner der in seinen Augen zu liberalen Verfassung war.

Die Ansprache zur Grundsteinlegung wurde Prälat Johann Peter Hebel  übertragen. Am 17. April 1819, fünf Tage vor der 1. Kammersitzung, war er zum ersten Prälaten der badischen Landeskirche ernannt worden. In einer Verfügung des Großherzogs Ludwig, veröffentlicht im Großherzoglich Badischen Staats- und Regierungs-Blatt heißt es: „Nach dem § 27 der VerfassungsUrkunde soll der katholische LandesBischoff und ein von Uns ernannter protestantischer Geistlicher mit dem Rang eines Prälaten lebenslänglich Sitz und Stimme in der Ständeversammlung haben. – Als protestantischen Geistlichen mit dem Rang eines Prälaten ernennen Wir unsern KirchenRath Hebel, der in dieser Eigenschaft in die erste Cammer eintritt.“

 

Über die Ansprache zur Grundsteinlegung berichtete die Karlsruher Zeitung noch am selben Tag, also am 16. Oktober 1820. Hebels kurze Rede namens der Ständeversammlung, gehaltern in Anwesenheit des Großherzogs und des Hofes, wird darin wörtlich abgedruckt. Der Wortlaut der Rede sei hier ebenfalls wiedergegeben:

 

Ew. Königliche Hoheit haben auf unterthänigstes Ansuchen Höchstihrer treugehorsamsten Stände-versammlung den Bau eines Ständehauses gnädigst genehmigt. Er ist durch das preiswerthe Geschenk der Verfassung, welche wir unserm erhabensten Fürsten verdanken, ein erfreuliches Bedürfniß geworden. Höchstdieselben, nie müde, zu beglücken und zu erfreuen, haben in der Bitte der gegenwärtigen Baukommission huldreichst die Wünsche der treugehorsamsten Stände gewürdigt, Höchstselbst dieses Gebäude gründen und seiner Bestimmung weihen zu wollen. Genehmigen Höchstdieselben die devotesten und reinsten Dankgefühle, welche wir im Namen unserer Kom-mittenten darzubringen uns erlauben. Dieses Ge-bäude, das heute unter seinen schönen Auspizien ersteht, wird lange an den Ausgang eines Land-tages erinnern, der unter den beglückendsten Erweisungen landesväterlicher Huld, so feierlich und erfreulich in allen Gemüthern geschlossen wurde. Es wird mit andern Denkmalen einer glor-reichen Regierung, mit so vielen festen Begrün-dungen einer glücklichen Zukunft an die dankbare Nachwelt übergeben. Von Ewr. königl. Hoheit Höchstselbst geweiht, wird es Ein bleiender zeuge jener huldreichen Gesinnungen seyn, womit der allverehrte und geliebte Fürst und Vater seines Volkes alle Interessen desselben zu umfassen und zu seinen eigenen zu erheben gewohnt ist, selbstglüklich, in dem Er beglükt. Die Vorsehung schütze und mehre, zum Heil des Vaterlandes, Höchstihre theuren Tage, und lassen Höchstdie-selben lange aus den Sälen dieses Gebäudes den Dank und die Segenswünsche Ihrer getreuesten Stände, die fortwährende Huldigung aller Herzen empfangen. – Antwort Sr. königl. Hoheit: Da Ich nichts sehnlicher wünsche, als das Glük unseres Vaterlandes immer mehr und fester zu begründen, so lege Ich mit innigstem Vergnügen die Hand an den ersten Stein des Gebäudes, in welchem dereinst das Wohl Meines theuren Volkes berathen werden soll.

Die Rede atmet einen devoten Untertanengeist, wie er damals üblich war, trotz der inzwischen geltenden anfangsweise demokrati-schen Verfassung; ihr Ton ist, wenn überhaupt, nur in geringem Maße der niederen Herkunft Hebels geschuldet. Die dem Grundstein beigegebenen Inschriftplatte ist im selben Ton verfasst. ‒ Teilnehmer an der Grundsteinlegungsfeier waren ebenso die Honoratioren der Stadt und die Mitglieder der Baukommission der Ständeversammlung, die die Errichtung eines Ständehauses beantragt hatte und in deren Namen Hebel sprach. Schließlich reichte der Stadtplaner und klassizistische Baumeister Friedrich Weinbrenner dem Großherzog einen silbernen Hammer für den Hammerschlag auf den Grundstein und eine silberne Kelle für eine Kalkzugabe.

Der Bau selbst wurde dann nach den Plänen des Weinbrenner-Schülers Friedrich Arnold errichtet. Er wurde Bestandteil des schon seit fast zwei Jahrzehnten im Entstehen befindlichen Karlsruher Klassizismus: 1814 war die dem späteren Stände-haus unmittelbar benachbarte katholische Stadtkirche St. Ste-phan eingeweiht worden, 1816 die evangelische Stadtkirche am Markt. In dieser fand 1821 die wichtige badische Generalsynode statt, welche die Union der evangelischen Kirche aus lutheri-schen und reformierten Gemeinden besiegelte. (Hätte das Stän-dehaus schon zur Verfügung gestanden, hätte die Generalsy-node wohl in ihm getagt.)

Ferner sei daran erinnert, dass inzwischen auch im Badischen die sogenannte Restaurationszeit ihren Anfang genommen hatte: Als Reaktion auf die Ermordung des Schriftstellers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue am 23. März 1819 im nahen Mannheim durch den Burschenschaftler Karl Ludwig Sand, einen evangelischen Theologiestudenten, der am 20. Mai 1820 in Mannheim hingerichtet wurde, mit den darauf folgenden sogenannten Karlsbader Beschlüssen des Deutschen Bundes vom August 1819 zur Bekämpfung liberaler Tendenzen im nach-napoleonischen Deutschland.

Die Eröffnung des Ständehauses am 2. November 1822  vollzog sich anscheinend ohne eine besondere Feier.

Erst nach Großherzog Ludwigs Tod begnn 1830 auch im Großherzogtum Baden wie in anderen Ländern des Deutschen Bundes mit Großherzog Leopold (1790‒1852) die Zeit des liberalen Vormärz.

Nachdem das alte Ständehaus im Zweiten Weltkrieg 1944 bei einem Luftangriff stark beschädigt worden war, wurde es 1961 abgerissen. 1993 konnte das neue Ständehaus mit Anklang an den historischen Vorgängerbau fertig gestellt werden (darin heute die Stadtbibliothek und das katholische Dekanatszentrum mit einem großen Vortragssaal).

 

                                                                                                    

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© Gerhard Schwinge