Teil XV

 

Nachkriegszeit: die Jahre der Konsolidierung 1945 bis 1958

Entnazifizierung

 

Wie sollte es in der Landeskirche und mit ihrer Kirchenleitung nach dem Ende des Kriegs und des Nationalsozia-lismus weitergehen? Kontinuität oder Neubeginn?
 

Zunächst waren Personalfragen zu klären.1 Für die amerikanischen und französischen Besatzungsbehörden hieß das: Entnazifizierung aller, die NSDAP-Mitglieder gewesen waren, Zurruhesetzung ohne Ruhegehaltsansprüche. Für die Kirchenleitung bzw. die Landessynode, sobald sie wieder existierten, hieß das meist “Reinigung“2 und Weiter-beschäftigung, auch von gewesenen Nazi-Pfarrern und Deutschen Christen, zumal fast alle anfangs Hitler und den Nationalsozialismus als Retter in der Weltwirtschaftskrise und aus dem Politikwirrwarr am Ende der Weimarer Repu-blik begrüßt hatten. Einer Anordnung des neuen Landesbischofs von 1934, den Führer im Gottesdienst in das Für-bittengebet einzuschließen, widersetzten sich nur wenige. Ebenso verweigerten 1938 nur wenige Geistliche, nämlich acht, wie die Staatsbeamten den Treueeid auf den Führer abzulegen. ‒ Nach einer abschließenden Bilanz von 1952 gab es nach 1945 in der Pfarrerschaft nur eine uneingeschränkte Entlassung, aber 22 Ruhestandsversetzungen und sogar 12 Wiedereinstellungen. (nach G. Lindemann, S. 317)

Neuordnung der Kirchenleitung

Eine „Vorläufige Landessynode“ vom 27.-29. November 1945 in Bretten, führte dann die notwendigen Klärungen herbei.

Kühlewein wurde wegen seiner unentschiedenen Haltung im Kirchenkampf gegen seinen Willen zum Rücktritt gedrängt. Unter mehreren Kandidaten (Rost, Dürr, Maas) wurde dann der Nonnenweierer Diakonissenhauspfarrer Julius Bender (1893‒1966)  zum neuen Bischof gewählt; wegen seiner lutherischen Prägung war er nicht unum-stritten.   Für einen der unterlegenen Kandidaten und einen Oberländer Pfarrer wurden 1946 neu zwei Prälatenämter geschaffen, zunächst Kreisdekanate genannt (seit 1933 hatte es in der Landeskirche keinen Prälaten mehr gegeben): für den Kirchenkreis Nordbaden der schon betagte langjährige liberale Heidelberger Heiliggeist-kirchenpfarrer und im Dritten Reich bekennende Theologe Hermann Maas (er hielt sich anscheinend selbst für unentbehrlich) und für Südbaden der positive Freiburger Pfarrer Otto Hof (1902‒1980).

 

                      Julius Bender

Aus dem bisherigen Oberkirchenrat blieben als unbelastet die Oberkir-chenräte Gustav Rost (1884‒1958) und der Jurist Otto Friedrich (1883 ‒1978), dieser,aus dem Elsass stammend, mit lutherischen Ten-denzen. Aus dem Oberkirchenrat schied der im Nazi-Regime linien-treue juristische Oberkirchenrat Emil Doerr (1882‒1948) aus, drei neue Oberkirchenräte wurden ge-wählt, darunter Karl Dürr, als Ane-rkennung für seine Engagement als Bekenntnispfarrer. ‒ (Unverständlicherweise konnten nicht nur von Doerr, sondern auch von Friedrich und von Hof keine Porträtfotos gefunden werden.)

Gustav Rost

 

Julius Bender

 

 

Eine neue Kirchenverfassung: die Grundordnung von 1958

In den 1950er Jahren wurde unter der Leitung von Otto Friedrich durch einen Verfassungsausschuss der ‒ damals noch so genannten ‒ Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens eine neue Kirchenverfassung erarbeitet, später Grundordnung genannt. Sie wurde im April 1958 durch die Landesynode beschlossen.

Diese Grundordnung ist die gesetzliche Grundlage, auf der die Arbeit der badischen Landeskirche basiert. In ihr werden die theologischen Grundlagen und die ökumenischen Beziehungen beschrieben. Sie bezieht sich sowohl auf die Unionsurkunde von 1821 und deren gesetzliche Erläuterungen von 1855 als auch auf die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen 1934.

Im Vorwort heißt es:

- Die Evangelische Landeskirche in Baden glaubt und bekennt Jesus Christus als ihren Herrn, als alleiniges Haupt der Christenheit.

- Sie gründet sich als Kirche der Reformation auf das in der Heiligen Schrift im Alten und Neuen Testament bezeugte Wort Gottes als die alleinige Quelle und oberste Richtschnur ihres Glaubens, ihrer Lehre und ihres Lebens und bekennt, dass das Heil allein aus Gnaden, allein im Glauben an Jesus Christus empfangen wird.

- Sie bezeugt ihren Glauben durch die drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse: Apostolicum (Apostolisches Glaubensbekenntnis), Nicaenum und Athanasianum.

- Sie anerkennt, gebunden an die Unionsurkunde von 1821 und ihre gesetzliche Erläuterung von 1855, namentlich und ausdrücklich das Augsburger Bekenntnis von 1530 als das gemeinsame Grundbekenntnis der Kirchen der Reformation, sowie den Kleinen Katechismus Luthers von 1529 und den Heidelberger Katechismus von 1563, abgesehen von denjenigen Katechismusstücken, die zur Sakramentsauffassung der Unionsurkunde in Widerspruch stehen.

- Sie bejaht die Theologische Erklärung von Barmen von 1934 als schriftgemäße Bezeugung des Evangeliums gegenüber Irrlehren und Eingriffen totalitärer Gewalt.

- Sie weiß sich verpflichtet, ihr Bekenntnis immer wieder an der Heiligen Schrift zu prüfen und es in Lehre, Ordnung und Leben zu bezeugen und zu bewähren.

Auf dieser Grundlage gibt sich die Evangelische Landeskirche in Baden diese Grundordnung. Sie ist dabei über-zeugt, dass alles Recht in der Landeskirche allein dem Auftrag ihres Herrn Jesus Christus zu dienen hat. Es findet in diesem Auftrag seine Vollmacht und seine Grenze. Daher ist jede Bestimmung der Grundordnung im Geist der Liebe Christi zu halten.

In 7 Abschnitten werden die Grundlagen, der Aufbau und die Leitung der Gemeinde, des Kirchenbezirks und der Landeskirche, sowie die Dienste und Ämter in der Kirche beschrieben.

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1) Vgl. G. Schwinge: Neuanfang nach 1945? Badische DC-Pfarrer nach dem Zweiten Weltkrieg sowie Ende, Kontinuität und Neubeginn innerhalb der Kirchenleitung 1945/46. In: JbKRG 13 (2019) S. 89‒108. - Gerhard Lindemann: Die Entnazifizierung in der Evangelischen Landeskirche in Baden. In: Unterdrückung - Anpassung - Bekenntnis. Die Evang. Landeskirche in Baden im Dritten Reich u. in der Nachkriegszeit. Karlsruhe 2009 (VVKGB, Bd. 63),
S. 299‒317.

2) Vgl. Kirsten Muster: Die Reinigung der Evangelischen Landeskirche in Baden 1945‒1950. Heidelberg 1990, 353 S. (Diss. jur. Kiel 1989).

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© Gerhard Schwinge