Interreligiosität

 

 

Die Weltreligionen und ihre Sichtbarkeit in einer weitgehend säkularen Gesellschaft

 

 

Seit fast 2000 Jahren sind die Länder Mitteleuropas christlich, man spricht vom christlichen Abendland. Doch in unserer Zeit ist das infrage gestellt. Nur noch etwa die Hälfte der Bevölkerung der Bundesrepublik ist getauft (26 % sind Katholiken, 24 % Protestanten). Dagegen wächst die Zahl der Moslems ständig, vor allem durch die Migranten. Zwischen 5 und 7 % der Einwohner Deutschlands gehören dem Islam an.

Wie weit darf das sichtbar sein, muss das sichtbar werden dürfen? Und soll das Christliche noch sichtbar bleiben?

In letzter Zeit hat es zwei heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben, eine in Karlsruhe, eine in Berlin.

Karlsruhe

 

Islam

 

So könnte der Neubau der Zentralmoschee in der Oststadt aussehen. - Bild: ka-news/juw/anb

Karlsruhe, neue türkisch-islamische DITIB-Zentralmoschee, Käppelestraße, in der Planung und Auseinander-setzung seit 2013, im Bau seit 2019, Minarett 28 m hoch, mit Halbmond an dessen Spitze.

In Karlsruhe ist der Neubau einer Zentralmoschee umstritten, wegen seiner geplanten Größe, wegen der Zahl und  Höhe seiner Minarette ‒ vier oder eins, mit dem Halbmond und dem fünfzackigen Stern in des-sen  Mitte an der Spitze des Minaretts als Symbol des Islam ͼ, von ursprünglich 35 Meter Höhe, jetzt redu-ziert auf 28,5 Meter, wegen der regelmäßigen Rufe eines Muezzins, mit einer Kuppel von 17,5 m Höhe. Es handelt sich um einen 5-geschossigen Bau mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten. Der Rohbau soll zu Weihnachten 2022 fertig gestellt sein.‒ Die Debatte spielte sich auch zwischen den politischen Parteien ab: Die AfD lehnt das ganz Projekt ab, in der SPD sind Einzelheiten umstritten.

Die immer wieder neuen Konflikte um das Kopftuch von mosleminischen Lehrerinnen im staatlichen Schuldienst, von Bundesland zu Bundesland verschieden geregelt, sind hinlänglich bekannt.

 

Judentum

Die Zahl der in Deutschland lebenden Juden, besser. der sich bekennenden Angehörigen einer Jüdischen Kultusge-meinde ist gering, in der ganzen Bundesrepublik sind es 98.000, in Karlsruhe sind es 870, vor 1933 und vor dem Holocaust waren es im Deutschen Reich 960.000.

Deswegen und wegen der Nähe des Judentums zum Christentum ist dessen Präsenz in der Öffentlichkeit im Allge-meinen unumstritten, mit Ausnahme von antisemitischen Straftaten.

In Karlsruhe errichtete die Jüdische Kultusgemeinde 1971 eine neue große Synagoge mit einem sechseckigen Davidstern als Grundriss

Karlsruhe, neue Synagoge von 1971, Knielinger Allee 11, von grünem Baumbestand umgeben, Grund-riss und Dachkonstruktion als sechseckiger Davidstern, unumstritten.

Das andere Symbol des Judentums ist die Menora, ein (ursprünglich) Siebenarmiger Leuchter.

 

Der männliche Jude trägt als Erkennungszeichen auf dem Kopf die Kippa, eine runde, flache Kappe. Statt der Kippa kann auch jede andere Kopfbedeckung (Mütze, Hut oder zur Not selbst ein Taschentuch) denselben Zweck erfüllen. ‒ Im Nationalsozialismus mussten alle Juden einen gelben Judenstern aus Stoff auf der Brust tragen.

 

Christentum

Symbol des Christentums ist das Kreuz. Es gibt sehr viele verschiedene Kreuzesformen. Hier ist es fast im-mer das so genannte lateinische Kreuz, das zugleich die verbreitetste Form ist: vierschenkeliges, mit vier rechtwinklig angeordneten Balken und verlängertem unteren Balken:

 

Von Kreuzen in der Kunst im weitesten Sinn ist hier nicht die Rede. Über das Aufhängen von Kreuzen in den Räu-men staatlicher Schulen und in anderen öffentlichen Räumen gab es verschiedentlich kontroverse Auseinander-setzungen, besonders im Bundesland Bayern.

Selbstverständlich haben evangelische und katholische Kirchen ein Kreuz an der Kirchturmspitze, auch in Karlsruhe, so die Christuskirche von 1900 und die Stephanskirche von 1814 (mit Ausnahme der Stadtkirche von 1816, die ein vergoldeter Friedensengel krönt, wohl im Blick auf die siegreich beendete Freiheitskirche gegen Napoleon).

 

Das Gebäude des Karlsruher Oberkirchenrats, der Kirchenleitung der badischen Landeskirche, Blumenstraße 1, hatte jahrzehntelang kein sichtbares Kreuz, weder außen am Bau noch innen in den öffentlich zugänglichen Gebäu-deteilen, mit Ausnahme des Andachtsraums im 3. Obergeschoss. Seit einiger Zeit finden sich nun außen links vorm Haupteingang eine Informationstafel, später Informationsfahnen mit dem landeskirchlichen Logo eines stilisierten Kreuzes.

Dagegen gibt es schon seit längerem im Referat 1 die Fachstelle Weltanschauungen, mit Arbeitsstellen für das Christlich-jüdische Gespräch und für das Christlich-islamische Gespräch (landeskirchliche Islambeauftragte, Pfarrerin Prof. Dr. Elisabeth Hartlieb, EKD-Material, „Zusammenleben in Vielfalt“)

Gibt es nur Einen Gott? Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet. Eine badische Pfarrerin 2015 in einem Interview von: Ja, wir haben als Juden, Christen und Muslime einen einzigen Gott, dem wir uns auf verschiedene Weise nähern. Es gibt aber verschiedene Offenbarungsquellen, bei denen es Unterschiede gibt.

 

Berlin

 

das ehemal. Berliner Stadtschloss, jetzt Humboldt-Forum

November 2022: Immer wieder betont Claudia Roth (Die Grünen), die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, dass die Bibelworte und das goldene Kreuz an und auf der Kuppel der „Weltoffenheit“ widersprä-chen, die das Humboldt Forum auszeichne. Ihre Vorgängerin in dieser Amtsstellung Monika Grütters (CDU) wider-spricht ihr und tritt für eine geschichtliche Kontinuität ein.

 

Nach einem Beschluss der Bundesregierung wurde das im Zeiten Weltkrieg zerstörte und in DDR-Zeiten gesprengte Schloss restauriert werden. Die Diskussion eskalierte, als nach dem Abbau der Baugerüste an der Kuppel die original wiederhergestellten biblischen Verse der umlaufenden Inschrift sichtbar waren. In 34 Zentimeter hohen goldgefassten Lettern stand nun weithin sichtbar:

Diese Inschrift an der Kuppel des rekonstruierten Stadtschlosses, die ursprünglich durch König Friedrich Wilhelm IV. angebracht wurde, setzt sich aus zwei Bibelzitaten zusammen und lautet: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“ (Bibelspruch als eine Kombination aus den Bibelstellen Apostelgeschichte 4, v.12 und Philipper 2, v.10.) Gemeint ist, auch der König beugt seine Knie nur vor Gott, nicht vor dem Volk. Der Berliner Dom mit einem goldenen Kreuz befindet ganz in der Nähe und hat eine ähnliche Kuppel mit einer Spitze und einem goldenen Kreuz.

DIE ZEIT, Nr.46, 10.11.2022, Foto: Paul Langrock, Tobias Koch

 

Fazit

Die Frage ist also nicht nur, wieweit die Religionen sichtbar in die Öffentlichkeit drängen dürfen, sondern auch ob das Christentum aus geschichtlichen Gründen und aus Gründen der Bedeutungsgröße ein Privileg besitzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Druckversion | Sitemap
© Gerhard Schwinge