Buchbesprechung

 

 

 

 

Lebensbilder aus der evangelischen Kirche in Baden im 19. und 20. Jahrhundert, Band III:
Heidelberger Universitätstheologie,


begonnen von Gottfried Seebaß †, fortgeführt und hrsg. von Johannes Ehmann.

Ubstadt-Weiher, Heidelberg u.a. 2020, 520 S., 23 Abb.    ISBN 978-3- 89735-515-6 geb. 38,00 Euro

 

 

Es handelt sich um einen von fünf Bänden eines Gesamtwerks, konzipiert und geplant ab 2003 gemeinsam von damals fünf Herausgebern, unter ihnen der 2008 verstorbene Heidelberger Kirchenhistoriker Prof. Dr. Gottfried Seebaß.

 

Dies ist der als vorletzter erscheinende Band; es fehlt noch Band I: Kirchenleitung. Zuerst erschien 2007 Band V: Kultur und Bildung (Hrsg.: G. Schwinge); 2010 erschien Band II: Kirchenpolitische Richtungen (Hrsg.: J. Ehmann) und 2015 erschien Band IV: Erweckung, Innere Mission/Diakonie, Theologinnen (Hrsg.: G. Schwinge).

Nur die Bände IV und V enthalten unter den Lebensbildern auch solche von Frauen und unter den Autoren auch Autorinnen als Verfasserinnen.

 

Grundsätzlich werden in Lebensbilder-Bänden, wie anderswo ebenso, nur Verstorbene gewürdigt, wobei die Art der Darstellung den Autoren und Autorinnen weitgehend freigestellt blieb, so dass sie recht unterschiedlich ausfiel (essayistisch, erzählend, reflektierend, forschungsgeschichtlich). Die Beiträge sind sogar mehrheitlich keine Lebens-bilder im eigentlichen Sinne, sondern Referate über das theologische Werk des Betreffenden – mehr für speziell Interessierte interessant. Insofern hätte der Band besser Heidelberger Universitätstheologen geheißen statt Heidel-berger Universitätstheologie. ‒ Nachträglich stellte sich außerdem heraus, dass es besser gewesen wäre, wenn die Herausgeber wegen der Vereinheitlichung von Anfang an Vorgaben für die Abfassung eines Lebensbilds gemacht hätten: als wissenschaftliche Darstellung, mit Anmerkungen und Quellen- und Literaturverzeichnis.

 

Die Lebensbilder dieses Bandes zu den nach Meinung des Herausgebers 22 bedeutendsten Theologen der Universität Heidelberg im 19. und 20. Jahrhunderts sind nicht nach den Fachrichtungen der Theologie geordnet, zumal diese früher weniger klar abgegrenzt waren und ein Professor mehrere vertreten konnte. Vielmehr werden sie chronologisch nach den Geburtsjahren der aus schätzungsweise dreimal so vielen Professoren der letzten beiden Jahrhunderte Ausgewählten geordnet. Insofern handelt sich nicht um eine Fakultätsgeschichte. Es sei denn, man ordnet die Personen nach der Zeit ihrer Tätigkeit in Heidelberg (dann würde Paulus nicht an erster, sondern an dritter Stelle stehen, und Daub an erster).

 

Auflistung der Beiträge, mit Ergänzungen

 

                        Johann Ludwiig Ewald in Bd. I                        1805-1807    Moral- u. Pastoralth.

Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761–1851)            1811-1844    Exegese,Kirchengech.
Carl Daub (1765–1836)                                                  1796-1836   Dogmatik, Exegese
Friedrich Heinrich Christian Schwarz (1766–1837)        1804-1837    Dogmatik, Pädagogik

 

Friedrich Wilhelm Carl Umbreit (1795–1860)                 1820-1860   AT
Richard Rothe (1799–1867)                                           1837-1849   und 1854-1867  NT, Dogmatik
Carl Bernhard Hundeshagen (1810–1872)                    1847-1867    NT

     Daniel Schenkel in Bd. II                                           1851-1884    Theologie, Philosophie

Heinrich Holtzmann (1832–1910)                                   1858-1874    NT
 

Heinrich Bassermann (1849–1909)                               1876-1909    Prakt. Theologie
Hans von Schubert (1859–1931)                                   1906-1928    Kirchengeschichte
Johannes Bauer (1860–1933)
[1]                                   1910-1929     Prakt. Theologie
                Johannes Weiß (*1863)                                 1908-1914     NT

                Ernst Troeltsch (*1865)                                  1894-1915    Theologie, Philosophie

 

Walther Köhler (1870–1946)                                          1929-1935    Kirchengeschichte
Martin Dibelius (1883–1947)                                          1915-1947    NT

 

Peter Brunner (1900–1981)                                           1947-1968    Dogmatik
Gerhard von Rad (1901–1971)                                      1949-1967    AT
Heinrich Bornkamm (1901–1977)                                  1948-1967     Kirchengeschichte

Edmund Schlink (1903–1984)                                        1946-1971    Ökumen. Theologie

Hans von Campenhausen (1903–1989)                        1945-1969    Kirchengeschichte NT
Günther Bornkamm (1905–1990)                                  1949-1971     NT
     Herbert Krimm in Bd. IV                                            1951-1971     Diakoniewissenschaft

 

Claus Westermann (1909–2000)                                   1958-1978    AT
             Hans Walter Wolff (*1911)                                 1967-1978   AT

Philipp Vielhauer (1914–1977)                                       ???               NT
Hans-Werner Gensichen (1915–1999)                          1957-1983    Missionswisenschaft
Heinz Eduard Tödt (1918–1991)                                    1963-1983     Sozialethik

 

Über die Auswahl der vor dem Jahr 2000 verstorbenen Professoren (wohl zunächst von Seebaß vorgenommen [2]) kann man streiten; Professorinnen gab es zu der Zeit noch nicht. Der eine oder andere mag den Neutestamentler Johannes Weiß (geb. 1863) vermissen oder den Systematiker Ernst Troeltsch (geb. 1865) oder den Alttestamentler Hans Walter Wolff (geb. 1911). Auf Vielhauer (geb. 1914) und Gensichen (geb.1915) hätte mancher vielleicht ver-zichten mögen.

Trotzdem handelt es sich in etwa um eine Theologiegeschichte, nicht nur um einzelne Heidelberger Theologen. Wünschenswert wären auch Hinweise auf Lehrer-Schüler-Beziehungen gewesen.

In der Geschichte der Heidelberger Fakultät gab es zwei besondere Phasen. Als 1803 die reformierte Kurpfalz der lutherischen Markgrafschaft Baden zugeschlagen wurde, wurde die bis dahin reformiert geprägte Fakultät durch die Berufung eines Lutheraners (Schwarz) bikonfessionell.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den ersten fünf Jahren sechs Neuberufungen, die eine Hochphase der Fa-kultät herbeiführten, welche rund ein Vierteljahrhundert anhielt und auf die ganz Deutschland blickte. Auch der Ver-fasser dieser Buchbesprechung studierte Mitte der 1950er Jahre drei Semester in Heidelberg und hörte die Profes-soren in Vorlesungen oder / und Seminaren: Gerhard von Rad, Hans von Campenhausen, die Brüder Bornkamm, Peter Brunner, Edmund Schlink. Drei von diesen bezeichneten sich übrigens ausdrücklich als evangelisch-lutherisch: Brunner, Schlink und von Rad. Schlink hatte sogar Bedenken, in die unierte badische Landeskirche zu wechseln. Zumindest einer von Ihnen, Brunner, konnte im traditionell liberalen Baden und im liberalen Heidelberg nur als das Gegenteil, als lutherisch konservativ gelten.

Unter-Gruppierungen wie in Bd. IV und V, wäre in Band III wie in Band II auch möglich gewesen- Fakultätsge-schichte: die ersten vier Jahrzehnte des 19.Jh.s als Neuorganisation[3] / die Kaiserzeit / die 2½ Nachkriegs-Jahrzehnte als Blütezeit

Zwei Einrichtungen der Universität aus diesen ersten Nachkriegsjahren waren deutschlandweit neu: seit 1946 das Ökumenische Institut des Ökumenische Theologie lehrenden Schlink und das 1954 von Prof. Herbert Krimm ge-gründete und geleitete Diakoniewissenschaftliche Institut.

Die Lebensbilder von drei Professoren, die ebenfalls in diesen Band III hätten aufgenommen werden können, wurden schon in anderen Bänden veröffentlicht und damit anderen Sachgebieten zugeordnet: der Kirchen- und Ministerialrat Johann Ludwig Ewald in Band I, der umstrittene Predigerseminardirektor Daniel Schenkel in Band II, der Diakoniewissenschaftler Herbert Krimm in Band IV.

Immer wieder waren Heidelberger Professoren auch mit der badischen Landeskirche verbunden: als Vorbereiter und Gestalter der Union von 1821 (Friedrich Heinrich Christian Schwarz), als Gründer und Direktoren des Predigerse-minars seit 1838 (Richard Rothe und Daniel Schenkel), als berufene Mitglieder von General-, später Landessynoden, als Prüfer bei den theologischen Examina. – Fast immer an die Professoren verliehene Titel waren: Kirchenrat bzw. Geh. Kirchenrat.


[1] Das Lebensbild Bauer, verfasst von dessen Enkel Benrath, wurde vom Herausgeber Ehmann „bearbeitet“, ohne dass gesagt wird, warum und in welchem Umfang.

[2] Wie weit die Vorarbeiten gediehen waren, wird nicht gesagt.

[3] Vgl. Alexander Bitzel: Die Universität Heidelberg und ihre theologische Fakultät im 19. Jahrhundert. In: Erinnerungsorte des badischen Protestantismus, Neulingen 2020, S. 73‒87.

 

 

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