Teil IX:
1. Von der Osterproklamation des Großherzogs bis zur Gründung des Protestantenvereins (1860 – 1863)
Auf den Agendenstreit von 1858‒1860, in dem die Liberalen die kathologisierenden Tendenzen der neuen Agende kritisiert hatten, und noch unmittelbarer auf das Konkordat, das die Badische Regierung, ohne Beteiligung des Erzbischofs von Freiburg, 1859 mit dem Heiligen Stuhl in Rom abgeschlossen hatte, reagierte der junge Großherzog Friedrich I, mit der sog. Osterproklamation vom 7. April 1860 was als Beginn der Neuen Ära gilt. Als Landesherr wollte er damit für einen Ausgleich der kirchenpolitischen Gegensätze im Großherzogtum sorgen
Großherzog Friedrich I.
Dennoch traten Ende des Jahres 1860 die beiden Hauptvertre-ter der positiven Ära der 1850er Jahre, Oberkirchenratsdirektor Karl Ullmann und Oberkirchenrat Karl Bähr von ihren Ämtern zurück. Schon zum 1. Januar 1860 hatten beide kirchenpolitisch rivalisierenden Gruppen eigene Presseorgane gegründet: die Positiven die Sonntagszeitung Evangelisches Kirchen- und Volksblatt für das Großherzogthum Baden / EKuVBl. (bis 1941 erscheinend), und die Liberalen das überregionale Süddeutsche evangelisch-protestantische Wochenblatt / SepWBl. (bis 1892). Interessant ist, dass im Vorwort zur ersten Nummer des EKuVBI
ausdrücklich „evangelisch“ von dem „blos“ „protestantisch“ als gegensätzlich voneinander abgesetzt wird; in der Folge verbirgt sich hinter „protestantisch“ immer liberal und hinter „evangelisch“ oft positiv.
Ende 1860 / Anfang 1861 erließ die großherzogliche Regierung die ersten Gesetze, durch die den kirchlichen Korporationen und dem Oberkirchenrat in ihrer rechtlichen Stellung eine größere Selbständigkeit gegenüber dem Staat eingeräumt wurde, und im Juni 1861 dann, nach Zustimmung der Generalsynode, eine neue, konstitutionelle Kirchenverfassung, die die Stellung der Gemeinden stärkte und eine regelmäßig tagende Generalsynode einführte als Vertretung des Kirchenvolks.
Dennoch sahen die Positiven in der allgemeinen theologischen Entwicklung eine unevangelische Liberalisierung und kritisierten vor allem die fehlende biblische Christologie und die bekenntnisfreie Schriftforschung. Ihr Wortführer, Aloys Henhöfer, nannte das sogar Unglauben und veröffentlichte 1861, ein Jahr vor seinem Tod, gleichsam als Vermächtnis, die Schrift Der Kampf des Unglaubens mit Aberglauben und Glauben – ein Zeichen unserer Zeit .
Aloys Henhöfer
Die Rivalität zwischen Positiven und Liberalen setzte sich fort. 1863 konstituierten sich die beiden theologisch-kirchlichen Richtungen in neuen Vereinigungen.
In der Nachfolge der Durlacher Konferenzen von 1850‒1855 gründeten die Positiven eine Landespredi-gerkonferenz, welche seit April zweimal im Jahr zusammentrat.
Ab Oktober folgten die Liberalen mit der Gründung des Deutschen Protestantenvereins, von Baden aus, doch überregional und bewusst die Bezeichnung protestantisch verwendend. Initiatoren waren zwei liberale badische Theologen: Theologieprofessor Richard Rothe seit 1838 der erste Direktor des badischen Predigerseminars in Heidelberg, und der engagierte Heidelberger Pfarrer Karl Zittel.
Rothe hatte seit langem die absurde These vom Aufgehen der Kirche im Staat vertreten; entsprechend trat der Protestantenverein für eine protestantische Nationalkirche ein. Damit war der Grund für den späteren Kulturprotestantismus gelegt.