Säkularisierungsmaßnahmen des Staates (1862‒1876)
Friedenssynode und Neuorganisation von drei kirchenpolitischen Gruppierungen (1887‒1896)
Beginnend in den 1850er Jahren, also während der positiven Kirchenregierung Ullmanns, und dann während des Agenden- und während des Schenkelstreits, nahmen die beiden polarisierenden kirchenpolitischen Gruppen von Pfarrern und Laien in Baden, die Positiven und die Liberalen, immer festere Formen an. Beide gingen aus Durlacher Konferenzen hervor.
Schon die ‒ vor allem in der katholischen Kirche ‒ umstrittenen Säkularisierungsmaßnahmen des Staates in der Neuen liberalen Ära, welche zum Schul- und Kulturkampf in den 1870er Jahren führten, schlossen die Kontrahenten zusammen: 1862 wurde per Verordnung ein simultaner Oberschulrat anstelle der bisherigen beiden bzw. drei konfessionellen Schulaufsichtsbehörden errichtet.1868 begann eine Volksschulreform mit fakultativ ermöglichten Simultanschulen anstelle von konfessionell getrennten, welche erst 1876 durch die gesetzlich obligatorische Simultan-, also Gemeinschaftsschule ihren Abschluss fand. 1869 wurden per Gesetz die obligatorische Zivilehe und die bürgerlichen Standesregister eingeführt, anstelle der nur kirchlichen Trauung als gültige Eheschließung und anstelle der nur bzw. zusätzlich zu den Kirchenbucheintragungen, nach der Geburt die Taufe und nach dem Tod die Bestattung.
Nachdem mit der Aufhebung des Seminarzwangs auf der Generalsynode 1867 der Schenkelstreit im Sinne der Positiven beendet zu sein schien, bemühten sich beide Parteien auf der folgenden Generalsynode von 1871 weiter um Ausgleich und Gemeinsamkeit, so dass diese als eine „Friedenssynode“ in die Landeskirchengeschichte einging. Das war auf der einen Seite besonders das Verdienst des um Versöhnung bemühten konservativen Pfarrers, zeitweiligen Oberkirchenrats und Landespolitikers Karl Mühlhäußer (1825‒1881), auf der anderen Seite auch mit dadurch verursacht, dass 1871 das 50jährige Jubiläum der Union begangen wurde, für deren Feier sich besonders der Pfarrer und Orientalist und liberale Publizist Johann Jakob Kneucker (1840‒1909) einsetzte, der sogar, angesichts der Proklamation des Deutschen Reichs im Januar 1871, von einer deutschen Nationalkirche, einschließlich der katholischen Kirche, also einer Union von Protestanten und Katholiken träumte.
Doch das Nebeneinander, manchmal das Gegeneinander der beiden kirchenpolitischen Parteien setzte sich neu organisiert fort, dazu eine neue „Mittelpartei.
1887 gaben sich die Positiven, die sich seit einem Vierteljahrhundert, seit 1850 in Durlacher Konferenzen zusammengetan hatten, den Namen Evangelische Konferenz, wobei „evangelisch durchaus programmatisch verstanden werden sollte, im Gegensatz zu dem liberalen „Protestantisch“. 1920 erfolgte dann, zur Unterscheidung von der KLV der Namenswechsel zur Kirchlich-positiven Vereinigung / KPV.
1892 nämlich hatten sich die Liberalen zur kirchlich-liberalen Vereinigung / KLV zusammengeschlossen.
Doch gab es auch Kräfte, die sich um Ausgleich und um Zusammenführung bemühten; so entstand 1896 eine Landeskirchliche Vereinigung / LKV.
Diese drei Kirchenparteien KLV, KPV und KLV bestimmten in den nächsten Jahrzehnten die kirchenpolitische Szene in Baden, besonders durch ihre jeweiligen, in zweien damals schon lange existierenden Presseorgane:
die positive Sonntagszeitung Evangelisches Kirchen- und Volksblatt, erschien von 1860 bis 1941;
die liberale Wochenzeitung Süddeutsches evangelisch-protestantisches Wochenblatt für geistliche und Gemeindeglieder, 1860‒1892, fortgesetzt durch: Evangelisch-protestantisches Kirchenblatt ,1893‒1910, fortgesetzt durch: Süddeutsche Blätter für Kirche und freies Christentum, 1911‒1933;
das neutrale Organ Korrespondenzblatt der Landeskirchlichen Vereinigung, 1897‒1919; fortgesetzt durch: Landeskirchliche Blätter für Baden. Halbmonatsschrift, 1919‒1934.
Die Liberalen als die Linken
Am Montag, dem 2. Januar 1860 er-schien als kritische Gegenschrift gegen-über den zurückliegenden positiven Jahren (siehe Teil VIII) in Heidelberg die Nr. 1 eines Wochenblatts liberaler badi-scher Theologen. Nach dem Eingangs-text „Was wir wollen“ bewusst nicht als Erbauungsblatt, sondern für protestanti-sche Geistliche und Gemeindeglieder zur kritischen Wahrnehmung der kirchlichen Situation. Überraschend direkt ist vom „Sieg der Rückschrittsparthei in der evangelischen Kirche“, von „neumodi-scher Kirchenthümelei“, von „kirchlicher Reaction“ die Rede. „So erlebte dann unsere evangelische Landeskirche ihre Generalsynode von 1855, die es sich zur Aufgabe setzte, so ziemlich das ganze Kirchenwesen nach den Grundätzen der protestantischen Rückschrittsparthei um-zugestalten.“ Der Agendenstreit (siehe Teil VIII) änderte daran nur wenig. ‒ Später wurde das Wochenblatt das Presseorgan des Protestantenvereins von 1863 (siehe Teil IX).
Die Landeskirchlichen in der Mitte
Fast 40 Jahre später, nachdem seit 1871 die Auseinandersetzungen mehr und mehr von Einmütigkeit abgelöst wurden, erschien ab Mitte Oktober 1897 ein mo-natliches Korrespondenzblatt der 1896 gegründeten Mittelpartei Landeskirchli-che Vereinigung. Nach der Nummer 1 zu schließen, in der die schriftstellernden, gemäßigt liberalen Pfarrer Adolf Schmitt-henner (1854‒1907) und Otto Frommel (1871‒1951) zu Wort kamen, war es mehr ein Erbauungsblatt für Mitglieder als kirchenpolitisch.
Die Positiven als die Rechten
Am Sonntag, dem 1. Januar 1860 erschien, im Anschluss an die Zeit der positiven Jahre unter Karl Ullmann 1853 bis 1860 (siehe Teil VIII), die Nr.1 eines neuen Sonntagsblatts, herausgebracht vom Evangelischen Schriftenverein in Karlsruhe, einer Einrichtung des 1849 gegründeten Evangelischen Vereins für Innere Mission Augsburgischen Bekennt-nisses, kurz AB-Verein (siehe Teil VI), des Zusammenschlusses der konservati-ven, „positiven“, evangelischen Christen in Baden. Nach dem Vorwort handelte es sich ausdrücklich nicht nur um ein bewusst evangelisches Kirchen-, son-dern ebenso um ein Volksblatt, also mit volksmissionarischen, evangelistischen Zielen.