Buchbesprechung
Dies 742-Seiten-Buch ist eine Biographie1) des badischen Pfarrers Georg Friedrich Schlatter, (aus einem badischen Zweig der Familie, nicht dem württembergischen Zweig der ursprünglich Schweizer Familie Schlatter), über den es bisher keine monographische Darstellung gab, wohl aber eine große Zahl kürzerer Erwähnungen im Blick auf seine Rolle als politisch engagierter Pfarrer und Vertreter der Revolution von 1848/49 innerhalb der Kirchengeschichte Badens im 19. Jahrhundert.
So enthält der Band vier Kapitel zu den vier Pfarreien, in denen er Dienst tat, zu Orten also, in denen Schlatter mit seiner großen Familie2) gelebt und als Pfarrer gewirkt hat: Dallau (1820-1827 im Kirchenbezirk Mosbach, ehemals kurpfälzisch), Linkenheim (1827-1832, Kirchenbezirk Karlsruhe-Land), Heddesheim (1832-1844)3) Kirchenbezirk Ladenburg-Weinheim); Mühlbach (1844-1849, Ortsteil von Eppingen, im Kirchenbezirk Eppingen, ehemals kur-pfälzisch). Lediglich ein Kapitel zur Revolution 1849 ist hiernach eingeschoben, obwohl mit Schlatter fast nur sein Engagement für die Revolution 1848/49 verbunden wird. Am Anfang des Bands stehen Abschnitte über die For-schungsgeschichte, über Herkunft und frühe Jahre Schlatters, sein Theologiestudium in Heidelberg (1818-1820) und Examen und Vikariat in Dallau (1820-1827).
Schwerpunkte der Behandlung Innerhalb dieser biographischen Kapitel sind zudem:
die Theologische Fakultät Heidelberg um 1820, mit Nennung aller einzelnen Professoren, vor allem des väterlichen Lehrers von Schlatter:
Friedrich Heinrich Christian Schwarz, Schwiegersohn Jung-Stillings, Professor für lutherische Systematische Theologie sowie Religionspädagogik,
die von Schlatter abgelehnte Bekenntnisbewegung Aloys Henhöfers und der Katechismusstreit seit etwa 1830,
die Agendenstreite der 1830er und 1850er Jahre,
die Vermittlungstheologie der Jahre 1850 bis 1860 (Carl Ullmann),
die liberale Neue Ära seit 1860.
Die letzten biographischen Kapitel haben den Prozess und die Haft Schlatters (1849-1855), seine Zeit als „Privatgelehrter“ in Mannheim
(1856-1860) und den Lebensabend in Mannheim und Weinheim (1860-1875) zum Gegenstand. Es folgen noch die wichtigen Beigaben: Listen von Quellen und Literatur: Quellen (19 Seiten: Texte Schlatters;
archivalische Quellen im Generallandesarchiv Karlsruhe, im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe und in den Stadt- und Gemeindearchiven der Wirkungsorte Schlatters; sowie Literatur: 13 Seiten
Sekundärliteratur); ein Personenregister (in Auswahl), sechs Seiten.
Das alles zu berücksichtigen und auszuwerten bedeutet eine schier unglaubliche Fleißarbeit und Ausdauer.
Der vollständige Buchtitel:
Herbert Anzinger: Pfarrer Georg Friedrich Schlatter, ein kirchlicher Vorkämpfer für Demokratie und nationale Einigung Deutschlands im 19. Jahrhundert, Stuttgart: Kohlhammer 2025, 742 S., 1 Abb. (Veröffentlichungen zur badischen Kirchen- und Religionsgeschichte, hrsg. im Auftrag. des Vereins für Kirchengeschichte in der Evang. Landeskirche in Baden von Johannes Ehmann, Bd. 14)
Der Autor:
Dr. theol. Herbert Anzinger, geb. 1949 in Franken, Pfarrer i. R., Heidelberg; nach seinem Studium theologisch in Heidelberg tätig in der Ethik- und Bonhoeffer-Forschung 1995‒2015 Pfarrer in Heddesheim, durch einen Verkehrs-unfall im November 2013 teilweise gelähmt und bettlägerig.
Am 3. November 2025 jährt sich Schlatters Todestag zum 150. Mal.
Foto: Hans-Jürgen Emmerich
Pfarrer Dierk Rafflewski (v.l.), Bürgermeister Achim Weitz, Autor Herbert Anzinger und Pfarrerin Franziska Stoellger
mit dem Schlatter-Buch. © Hans-Jürgen Emmerich
MANNHEIMER MORGEN vom 17.12.2024
Kinderreicher Pfarrer und Revolutionär aus Heddesheim
Er war Pfarrer in Heddesheim, Alterspräsident einer verfassungsgebenden Versammlung in Baden und verbrachte sechs Jahre im Zuchthaus. Herbert Anzinger zeichnet das spannende Leben von Georg Friedrich Schlatter nach
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1) Der Autor vermeidet den Begriff Biographie und spricht stattdessen von seiner „Arbeit“ und schreibt in seinem Vorwort: „Die Arbeit zeichnet seinen Lebensweg anhand von archivalischen Quellen und bisher teilweise unbekannten autobiographischen Texten nach und stellt erstmals alle seine Publikationen vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte dar.“ – Damit, mit dem Hinweis auf die Verarbei-tung vieler Quellen und zahlreicher Literatur, ist das Besondere dieser sehr umfassenden und ins Detail gehenden Arbeit gut charak-terisiert.
2) Schlatter soll von zwei Frauen 20 Kinder gehabt haben, darunter ein voreheliches und zwei uneheliche Kinder. Die meisten von der zweiten Frau, einer ehemaligen Konfirmandin.
3) Heddesheim nahm insofern eine besondere Position ein, als Schlatter ebenso wie der Autor des Buches und auch weitere Autoren, die sich mit Schlatter beschäftigten, dort Pfarrer gewesen waren; Heddesheim vereinnahmte deshalb auch das Buch Anzingers für die örtliche Heimatgeschichte; es gibt sogar neue Literatur über Heddesheim.